Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer – Gedanken von Pfr. Michael Brück
Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer – Gedanken von Pfr. Michael Brück
Nach einer ersten Begegnung trifft Maria von Wedemeyer Dietrich Bonhoeffer im Hause ihrer Großmutter Ruth von Kleist-Retzow wieder. Der Tod ihres Vaters und Bruders im Krieg trifft sie schwer. Sie findet Trost bei Dietrich Bonhoeffer. Im Januar 1943 verloben sie sich brieflich. Kurz danach wird Bonhoeffers konspirative Tätigkeit entdeckt und Dietrich am 5. April 1943 verhaftet – unter der allgemeinen Anklage der Wehrkraftzersetzung. Bonhoeffer kommt zunächst in das Gefängnis Berlin-Tegel. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 spitzt sich die Lage auch für Bonhoeffer dramatisch zu. Die Gestapo weist seine Verbindung zum Widerstand nach. Er wird ins Hauptgefängnis der Gestapo verlegt. Seitdem haben sich die Verlobten nicht mehr wiedergesehen. Zwischen beiden entwickelt sich ein intensiver Briefwechsel. Ja, vieles von dem, was die beiden bewegt, wissen wir aus ihren „Braut-Briefen“. Maria ist es, die Dietrich immer wieder Halt und Hoffnung gibt. Zugleich ist sie angesichts der schwierigen Situationen in ihren Gedanken und Gefühlen, Stimmen und Stimmungen ständig hin- und hergerissen.
Dass Maria eine taffe junge Frau ist und sehr genau weiß, was sie empfindet, beweist der folgende Schriftverkehr. Maria schreibt Dietrich sehr charmant: Ich habe jetzt den Mut gefunden, dir auf eine Frage zu antworten, die du noch gar nicht an mich gerichtet hast. Nun, meine Antwort ist: „Ja“! Und das aus ganzem Herzen! Dietrich wiederum nimmt ihren Heiratsantrag an!
„Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister.“ Am 19. Dezember 1944 schreibt Dietrich Bonhoeffer an Maria von Wedemeyer seinen letzten Brief, dem er auch sein letztes Gedicht beifügt. „Von guten Mächten“ war der letzte Text vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten noch schreiben konnte. Nach diesem Gedicht folgen um den Jahreswechsel 1944/45 noch zwei kurze Briefe an Angehörige, danach nichts mehr. Bonhoeffers letztes Gedicht wurde nach seinem Tod schon 1945 veröffentlicht und sofort sehr bekannt – bis heute.
Auf Instagram schreibt eine Frau zu Beginn der Corona-Pandemie: „Das Lied ‘Von guten Mächten‘ haben wir heute beim Balkonsingen nach ‚Der Mond ist aufgegangen‘ gesungen. Der Text ist wie für unsere Situation gemacht!“
Es gibt unterschiedliche Formen, im christlichen Glauben auf schwere Schicksalsschläge oder auf eine unausweichliche Situation zu reagieren: beispielweise Trotz, Abwehr, Aggression, Wut, Verdrängen oder ein hineinbergen in die Auferstehungshoffnung und Gewissheit des Glaubens. Es gibt aber auch das Tastende, Suchende einen zarten, zerbrechlichen Glauben. Er findet in Bonhoeffers Lied einen Ausdruck, und zwar so, dass viele Menschen, die in einer ganz anderen Situation sind, nicht in Haft, keine NS-Diktatur oder Verfolgung, und trotzdem ist ihr Leben traurig und schmerzvoll, schwierig oder herausfordernd, so dass sie diese Worte von Bonhoeffer ausleihen und borgen und sich darin bergen können, weil in Bonhoeffers Zeilen eine besondere Kraft liegt. Wir sind oft geneigt, Glaube mit Optimismus, Kraft, Gesundheit, mit Vorwärts, mit ‚wir kriegen das alles hin‘ zu verbinden. Aber es gibt eine Seite des Glaubens, die auch das Recht hat, eben: Ergebung, Einwilligung und Melancholie.
Bonhoeffer hat das Gedicht als Gruß zum Weihnachtsfest und neuen Jahr geschrieben. Vielleicht deswegen auch die Bildsprache: Mit Kerzen, dem Glanz der Lichter, Stille und einem besonderen Klang, der durchlässig ist für das Höhere, Göttliche, Geheimnisvolle, verborgen Gegenwärtige.
Der Kern des christlichen Glaubens ist Vertrauen. Und auf wen? Von Jesus ist in diesem Gedicht nie die Rede, von Gott nur sehr dezent – stattdessen von „guten Mächten“. Wer ist damit gemeint? Man kann auch sagen: Engel. Von den „Engeln“ heißt es: „Es müssen nicht Menschen mit Flügeln sein!“ Engel können wir alle sein! Und Engel, als Botinnen und Boten Gottes, haben einen klaren christlichen Bezug. In den Weihnachtserzählungen der Bibel, auch und gerade im Passionsgeschehen und beim Wunder der Auferstehung am Ostermorgen wimmelt es nur so von Engeln. Aber es lässt etwas offener und lenkt deshalb den Blick weniger auf den großen, ewigen, heiligen, allmächtigen Gott als auf die eigene Seele, die der Zuversicht und Liebe bedürftig ist.
Erinnerst du dich an eine Zeit oder Situation, in der du sehr bedrückt warst, in der du große Angst hattest oder sogar verzweifelt warst? Wer oder was hat dich getröstet, aufgebaut, getragen? Das Gedicht „von guten Mächten“ ist besonders bewegend, vor allem, wenn man weiß, in welcher Situation und unter welchen Umständen es verfasst wurde. Da dichtet einer, der jeden Tag damit rechnen muss, hingerichtet zu werden. Man spürt die düstere Atmosphäre, die Sorge und Angst, dass der „bittere Kelch“, den Bonhoeffer zu trinken gereicht bekommt, das Ende bringen wird. Und doch sprechen so viel Vertrauen und Hoffnung aus Bonhoeffers Worten, Gedanken und Überzeugung, dass man versteht, wieso dieses Gedicht bis heute populär ist und Strahlkraft hat.
„Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ So schließt das Gedicht.
Gott ist bei uns,
unabhängig davon wie es mir geht, ob mir etwas glückt oder missglückt, gefällt oder nicht.
Er ist „bei“ mir – immer und überall, begleitet mich jedoch auf Seine Weise.
„Gott ist bei uns.“ Das ist der Grund meines Glaubens und meines Lebens.
„Gott ist bei mir.“ Was kann man mehr sagen? Was kann ich mehr sagen?